Betritt man die Ausstellung Frischluft im Niederösterreichischen Dokumentationszentrum, so begegnet man einem Reigen an Bildern – Blicken auf die Welt –, die den Betrachter gefangen nehmen: surreal und bedrohlich, poetisch und wunderschön, utopisch und gegenwärtig. Die Schau versammelt sieben Positionen zeitgenössischer Kunst zwischen Zeichnung, Malerei und neuen Medien, frisch aus den Ateliers und so unterschiedlich wie individuell. Dennoch verbindet sie eine gemeinsame Frage: Was sehe ich wirklich?

Maria Temnitschka setzt ins Bild, was andere ins Abseits stellen. Altes Eisen, rostige Maschinen, leere Kanister: Zeugen einer Nutzung längst vergangener Tage. Sie erzählen ihre Geschichte und verwandeln sich zu wesenhaften Figuren in menschenleeren Räumen. Was bleibt nach der großen Welle von Fortschritt und Industrialisierung? Nur verkommene Gebäude, poröse Tankstellen, sinnentleerte Ruinen? So surreal ihre Bilderwelten auch wirken, sind es doch arrangierte Stillleben, deren Darstellung in eine zeitlose Ästhetik kippt.

Zeitlos öffnen sich auch die poetischen Farbräume Linda Bergers, verdichtende Wolkenmeere aus Linien, Strich für Strich auf die Fläche gesetzt, tanzend, singend, oder verstummend, wogend, vibrierend, explodierend. Der Raum changiert zwischen Abstraktion und Assoziation ist Nebel, Schleier, Galaxie, Wasser oder eben doch nur Liniengebilde. Eine minutiöse Arbeit, die an den Rändern der Vorstellung balanciert, das Unmögliche auslotet und uns ganz in einen poetischen Kokon einspinnt.

In Spannungsfeld von konventioneller Ikonografie und realer Erfahrung siedeln sich die Werke von Evelyn Kreinecker an. Eine junge Frau ist Hauptfigur ihrer Neuinterpretation der Heilsbotschaft, deren Wirkungsfeld sie entgegen dem tradierten Bild im Weiblichen verortet. Geste und Körperhaltung sind zentrale Botschaftsträger ihrer Figur, eingebettet in einem unbestimmten abstrakten Umfeld. So sind es bekannte Gesten, vorgeführt von einer Unbekannten, die eindringlich auf uns einwirken. Gelerntes verbindet sich mit unmittelbarer Erfahrung.

Beflügeln will uns Dina Gerersdorfer mit ihren Porträts von Singvögeln, die sie in feiner Liniatur auf Papier bannt. Scheu oder frech, komisch und berührend, landen die zarten Wesen im Ausstellungsraum und bieten sich ganz ungeschützt dem Auge des Betrachters dar. Die Leichtigkeit und Luftigkeit des Arrangements ihrer Zeichnungen, verbindet sich im Windhauch zum Erleben einer schönen Welt in der man die Vögel vermeint singen zu hören.

Umdeuten und Neuformen sind die Handlungsweisen von Regina Zachhalmel, die Kleidungsstücke, Dekorstoffe und Stofftaschen in geometrische Gebilde verwandelt. Kaum widerzuerkennen, sind diese tausendfach gebrauchten Alltagsgegenstände, die nun im Kontext der Kunst eine neue Aura gewinnen. Was sind die Bedingungen für die Bewertung eines Objektes, scheint sie zu fragen und untersucht damit Rezeptionsgewohnheiten von Kunst ebenso wie unsere tägliche Wahrnehmung.

Verblüfft steht man den großformatigen Arbeiten von Oliver Dorfer gegenüber. In einem farblichen Dreiklang führt er bekannte Ikons der digitalen Welt in malerische Bildebenen, vermischt Geometrisches mit Figurativen, überlagert und collagiert, schüttelt Fragmente durcheinander und generiert damit etwas Neues: Eine Form der visuellen Apparatur bei der das Zusammensetzen konstitutiver Teil des Bilderlebens wird. Dorfer gelingt damit eine Neuinterpretation des Tafelbildes als visuelles Sampling. Vielleicht ist es eine Analogie zur Dynamik bewegter und interagierender digitaler Wahrnehmungen? Jedenfalls irritierend und bravourös in einem Atemzug.

Irritierend sind auch die Figuren, die uns aus Stylianos Schichos „geschlossenem Paradies“ anblicken. Mit übergroßen Insektenaugen tummeln sie sich in kaleidoskopischen Räumen – beengt, gedrängt – treffen auf Tiere und Insekten, drehen sich zu uns und wenden sich voneinander ab. Sie starren heraus aus einer Umgebung, die von einem unsichtbaren Glassturz umfangen zu sein scheint. Sie suchen den Beobachter. Konfrontiert mit der Inszenierung des einst utopischen Big Brothers, weiß man, dass er längst allgegenwärtig ist. Schnell entfernt man sich aus dieser perfekten Dramaturgie.

Die Augen schließen, durchatmen. Frischluft ist eine Ausstellung, die einem mitunter den Atem anhalten lässt.

Elisabeth Voggeneder