Wenn Sie für einen Moment die Augen schließen und an Gott denken, welches Bild erscheint in Ihrer Vorstellung?

Im ersten Buch Moses heißt es: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie“[1]

Haben Sie sich Gott schon einmal als Frau vorgestellt und was würde das für Sie verändern? 

Die Macht der Bilder ist ein in unserer Gesellschaft viel diskutiertes Thema. Evelyn Kreinecker nutzt die Wirkmächtigkeit bildlicher Darstellungen und schafft mit den ihr als Künstlerin zur Verfügung stehenden Mitteln mehr als ein Gedankenexperiment. In der Werkserie mit dem Titel „SIE“ lädt sie die Betrachtenden dazu ein, der Wirkung veränderter Bilder nachzuspüren. Dabei ist ihr wichtig: „SIE ist nicht vordergründige feministisch-theologische Kritik, sondern löst sich von der uns vorgesetzten Bildwelt eines göttlichen „Er“. SIE schafft eine Alternative innerhalb der uns vertrauten Bildsprache, in der wir uns wiederfinden und in die wir uns hineinbegeben können.“

In der Werkserie SIE gestaltete Evelyn Kreinecker 14 großformatige Leinwände, die sich traditionellen Gottesdarstellungen der christlichen Ikonografie[2] widmen. Für jedes Thema wählte sie ein konkretes Vorbild aus der Kunstgeschichte mit der Darstellung von Jesus oder Gott Vater. Diese dem christlichen Bildkanon entnommenen männlichen Figuren ersetzt die Künstlerin durch eine weibliche Person. Kleidung, Frisur und Habitus der Frau sind der Jetztzeit entnommen und versuchen keine Rückgriffe auf Historisches. Im Gegensatz dazu bleiben Gestik, Haltung und Ausdruck der Dargestellten eng an den Vorbildern.

Es entstand ein Bildzyklus, der eine sehr individuelle Auswahl an Gottesbildern zeigt. Neben Gott Vater, dem Schöpfergott, über verschiedene Episoden aus dem Leben Christi, von der Heilung eines Blinden, der Segnung der Kinder, dem letzten Abendmahl, der Kreuzigung, bis zur Befreiung der Gerechten und der Himmelfahrt finden sich auch stehende ikonografische Typen wie der gute Hirte, der Salvator Mundi oder der segnende Christus.

Der Bildzyklus ist neben seinem ästhetischen Anspruch auch als künstlerische Forschung zur psychologischen Wirkung von Bildern zu verstehen. Vergleichbar einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung lotet die Künstlerin aus, was sich für die Betrachtenden verändert, wenn Gott als Frau dargestellt ist. Kreinecker experimentiert mit tradierten männlichen Posen und Rollenzuschreibungen, überlässt die Antwort auf die Frage nach deren Wirkung aber jeder und jedem einzelnen. Sich selbst mit einer machtvollen Pose zu identifizieren, ist ein Akt der Selbstermächtigung.

[1] Die Bibel, 1. Buch Moses, 1,27 – revidierte Einheitsübersetzung 2016
[2] Ikonografie aus dem Griechischen eikón für Bild und gráphein für schreiben ist eine Methode der Bestimmung und Deutung von Bildinhalten.

Angelika Doppelbauer hat sich intensiv von kunsthistorischer, feministischer, theologischer, philosophischer und gesellschaftspolitscher Seite mit dieser Serie auseinandergesetzt. Der gesamte Text ist in dem Katalog SIE erschienen und dort nachzulesen. Bei Interesse am Katalog (15 Euro) bitte ich um Kontaktaufnahme.