Ein Fastentuch verbirgt das oft Gesehene und Vertraute, die Bilder des Hochaltars und das Kreuz. Es fordert uns auf, auch „mit den Augen zu fasten“. Keine vorgegebenen Bilder zu sehen, sondern die eigenen zu suchen. Keine bekannten Erzählungen zu deuten sondern die eigene Geschichte zu ergründen. Kein Wissen zu wiederholen, sondern eigene Fragen zu stellen.
Es wirft uns zurück auf uns selbst.
Halt an! Wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir! Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.
Angelus Silesius
Dieser Gedanke des bekannten Mystikers aus dem 17. Jahrhundert begleitet mich schon lange und wurde für mich Ausgangspunkt und Inspiration meiner Arbeit am Fastentuch.
Mit den Mitteln der Farben, der Linie und der Form habe ich versucht ein Werk zu schaffen, das uns auf diesem suchendem Weg begleiten kann. Ich möchte damit ermutigen, das Göttliche im Dasein zu finden, den eigenen Lebens- und Glaubenswegen nachzugehen, aus der Tiefe zu schöpfen und dem Himmel entgegenzuwachsen.
Ich lade alle ein, beim Betrachten des Fastentuchs in eine Welt voller Verbindungen, Verwurzelungen und Verzweigungen einzutauchen. Verwobene und verknotete Schleifen und Stränge wachsen in dem Bild aus der Tiefe und breiten sich in die Höhe hin aus. Vieles können wir darin sehen.
Wellen, die tragen
Seile, die Halt geben
DNA-Stränge, Geheimnisse des Lebens in sich tragend
Eine Nabelschnur, die mit dem Ursprung verbindet
Organische Geflechte, wie Adern uns durchziehend
Verbindungen zueinander
Wege und Umwege unseres Lebens
Spuren, eingewoben in eine Welt der Farben
Blau durchzieht das Bild in vielen Farbnuancen und verbindet alles miteinander. Es ist die Farbe der Unendlichkeit, des Himmels und der Weite, des Wassers und der Tiefe. Blau lässt uns zur Ruhe kommen und zugleich Atem holen. Viele sehen darin auch die Farbe des Glaubens.
Violette Spuren tauchen im unteren Bereich des Bildes wie aus der Tiefe auf. Violett ist die Farbe der Besinnung, des Nachdenkens, der Reflexion. Eine Farbe, die zwei Welten verbindet – das Blau des Himmel und das Rot der Erde. Daher ist sie auch die Farbe, die uns auf die großen Feste des Christentums vorbereitet – Ostern und Weihnachten.
Grüne Bereiche durchdringen an manchen Stellen das Bild. Es ist die Farbe der Hoffnung, des Lebens, des Wachsens und der Schöpfung. Grün ist wie ein Versprechen, es bedeutet Neuanfang, Vertrauen und Zuversicht.
Rottöne sind in das Fastentuch eingewoben. Rot ist die große Farbe der Liebe und Hingabe, des Schmerzes und des Glücks. Rot steht für Leidenschaft und Leiden, es ist die Farbe der Erde, die alles Menschliche in sich vereint. Hier verbindet diese Farbe das Bild auch mit dem umgebenden Kirchenraum, der von diesem warmen Rotton wie von einem Netz durchzogen ist.
Das ganze Fastentuch ist zudem geprägt von einem filigranen, ornamentalen Muster. Wie ein Pulsschlag ist es da, manchmal ganz zart und verborgen, an anderen Stellen deutlich erkennbar. Wofür es steht, bleibt offen: Das Vertrauen ins Leben, das Miteinander, der Glaube, Gott oder doch ganz etwas anderes.
Im Betrachten des Fastentuches können wir uns vielleicht wiederfinden zwischen Tiefgründigem und Leichtigkeit, Dunklem und Hellem, Fragen und Zweifeln, Vertrauen und Wagnis, Verbundenheit und Loslösung, Himmel und Erde.
Dabei dürfen wir uns getragen und geführt fühlen und zugleich suchend bleiben, den Wegen des Lebens trauend.